Erlebnisbericht eines "Ersttäters"

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Schon seit Jahren habe ich viele Freunde und Bekannte bei Marathon Veranstaltungen supportet und angefeuert und mit ihnen gezittert und gejubelt ohne dass in irgendeiner Weise die Idee aufkam, das selber mal zu versuchen, weil es einfach jenseits meiner Vorstellungskraft war. Vor ca. einem Jahr keimte langsam der Gedanke in mir, könnte ich es vielleicht auch mal schaffen inmitten dieser ganzen Läufer zu stehen und diese Herausforderung anzunehmen? Quasi ganz heimlich habe ich dann an Gunter eine Mail geschrieben und ihn um Rat gefragt. Und zu meiner grossen Überraschung kam die positive Antwort, dass es in einem Jahr zum Finishen reichen könnte, wenn auch nur knapp, da mein Einstiegslevel schlicht und ergreifend Null, nichts oder einfach nicht vorhanden war. Dieser Gedanke lies mich nicht mehr los. Also habe ich seitdem in den Herbst- und Wintermonaten angefangen mit einem Freund langsam durch den Wald zu traben. Immer ausgestattet mit dem Pulsmessgerät und einer Geschwindigkeit, dass mich jeder altersschwache Dackel und jede 90-jährige locker überholt hatten.

Ab Januar gab es ihn dann – meinen persönlichen von Gunter aufgestellten Trainingsplan nur auf das Ziel focussiert am 29.September 2002 in Berlin über die Ziellinie zu kommen, gut es war die "normale" Anfängerzeit von 4:45:00 angedacht.

Die Anfangsmonate Januar und Februar war ich dann doch recht nachlässig in der Einhaltung dieses Planes , gebe ich ja zu, andere Sportarten wie klettern, schimmen etc. standen zu der Zeit eher im Mittelpunkt. Nach ettlichen "Ermahnungen" meines Coaches ging es dann ab März aufwärts. An jedem Monatsende musste ich bei Gunter "Bericht erstatten" und dann wurden die gelaufenen Kilometer kritisch begutachtet und beurteilt. Im Laufe der Monate habe ich gelernt, dass es ungefähr so viele verschiedene Trainingspläne und –methoden wie Läufer gibt. Viele viele Ratschläge und Tipps habe ich bekommen, manche belächelten sogar meinen Erstversuch mit dem Ziel "einfach nur zu finishen – Zeit egal" mit dem Argument "für so eine Zeit würde ich mir noch nicht mal die Laufschuhe anziehen". Mag sein, dass es für einen Läufer, der seit 10 Jahren läuft und selber schon 20 Marahtons gelaufen ist, nicht mehr vorstellbar ist, wie es ist anzufangen und nicht gleich auf Weltklasse- Niveau einzusteigen, vielleicht zeugt das aber auch von minderer Intelligenz und Vorstellungskraft, denn keiner wird als Marathonläufer geboren und jeder fängt mal an. An dieser Stelle nochmals einen Riesen Dank an Gunter, der eben dies nicht gemacht hat und mich und meine "Anfängerprobleme" einfach ernst genommen hat.

Irgendwann kamen dann die letzten 10 Wochen und damit die intensive Vorbereitungsphase vor dem grossen Tag. Die waren schon recht anstrengend und immer mehr stieg dabei meine Bewunderung für solche Läufer, die noch viel schneller sind, mehr Kilometer in der Woche laufen und einfach eine riesige Ausdauer haben, wenn ich mal wieder völlig geplättet nach einem langen Lauf zuhause auf der Couch lag.

Langsam aber sicher kam der 29.September. Die Planung für den Tag habe ich fast akribisch durchgeführt. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Geplant war, dass ich zusammen mit Gunter mit dem Auto nach Berlin fahre, dort nach der Startnummerausgabe und einem Carboloading, sprich Italiener o.ä. noch ne Nacht bleiben werde um dann am Sonntag mit Gunter zusammen auf die historische Strecke zu gehen. Es lief alles nach Plan, alles war prima, und ich wurde zusehens nervöser, denn ich hatte nun wirklich nicht den Eindruck "fertig" zu sein für diese Strecke. Ich hatte zwar auch keine Ahnung was das heissen sollte, aber irgendwie war da immer der Gedanke, habe ich genug trainiert, reicht das, schaffe ich das??? Da meine beiden längsten Trainingsläufe aus nur 29 und 30 km bestanden, hatte ich ziemlichen Respekt vor den restlichen 12.195 km. Von Gunter kam da ganz trocken der einfache Tipp: "dann lauf doch die 12.195 km zuerst und dann die bekannten 30 km". Eigentlich ganz einfach, oder??

Am Sonntag morgen bin ich also in aller Hergottsfrüh aufgestanden und wir sind ausgerüstet mit allem relativ früh zum Start mit der U-Bahn gefahren. Start der Läufer war um 9 Uhr und kurz nach 7 Uhr sind wir bereits losgegangen. Und es waren schon Scharen von Läufern unterwegs. In diesem Jahr hatten sich 32000 Läufer angemeldet plus Skater, Rollifahrer, Walker also knapp 42000 wollten sich auf die Strecke wagen, da war schon mächtig was los morgens im nebelverhangenen Berlin. Es war kühl, morgens nicht mehr als 12-13°C, aber trocken, leicht nebelig, eigentlich gutes Läuferwetter. Im Startbereich klappte auch alles prima, Die Klamotten abgegeben, Gunter präparierte sich mit seiner blauen Perücke – ein super Erkennungszeichen übrigens für Supporter und ein Spass für die Zuschauer. Und dann immer noch 30 Minten bis zum Start. Gunter immer noch völlig cool und relaxed, erst nochmal ein Zigarettchen geraucht, ich war mehr oder weniger ein Nervenbündel.

Dann endlich gings los. Das Gefühl das erste Mal über die Startlinie zu laufen ist riesig. Es macht stolz, einfach dabeizusein, egal wie es ausgeht. Mein Ziel war es , einfach nur anzukommen und das wollte ich irgendwie schaffen. Die ersten Kilomter ging’s ganz ruhig an, es war auch gar nicht so voll wie ich es mir vorgestellt hatte, wir sind halt auch im letzten Startblock gestartet, da ich als Debutant dort eingewiesen wurde. Gunter trug die ganze Zeit meine Verpflegung, aufgelöstes Power Gel in zwei Flaschen, dazu noch einen kleinen Fotoapparat. Der arme war bepackt wie ein Packesel.

kaum zu übersehen...
Packesel

Die ersten Kilomter ging es locker, viele Zuschauer waren am Rand, die Strasse des 17.Juni, Tiergarten, durchs Brandenburger Tor überall war viel los, die Zeit war ok, ich fühlte mich gut, sogar von der Umgebung und den Zuschauern habe ich alles mitbekommen. An den Verpflegungspunkten düste Gunter immer los, froh endlich mal ein wenig schneller laufen zu können, holte mir Wasser und knipste ein paar Fotos.

so weit, so gut...
kurz nach der Hälfte

Alles im grünen Bereich bis km 28-30km. Zwar war da in der Magengegend immer noch dieses unbestimmte Gefühl, was passiert wohl ab km 30, 35? Ich hatte viel über die Geschichten gelesen, dass dann ja eigentlich der Marathon erst richtig beginnt. Abwarten und laufen. Die Zuschauer in Berlin sind klasse, die machen den Lauf zu einem richtigen Erlebnis. Bei km 27 sah ich ein Schild eines Zuschauer "noch 2 km, oder so...?" Klasse, man bzw. ich konnte ja noch lachen über solche Schilder. Laufen macht Spass. Tja, leider meinten dann ab ca. km 32 doch so langsam die Beine, dass es eigentlich für diesen Tag gut sei mit dem Laufen. Nein, noch nicht im Ziel sagte der Kopf, also unterstrichen die Beine dann langsam aber immer deutlicher ihre Meinung, indem sie einfach müde wurden und weh taten. Gunters trockener Kommentar an dieser Stelle während des Laufes :" das ist normal, sagt ja keiner, dass es einfach ist, was wir machen", kein Mitleid, Mist, also weiter. Bei Kilomter 33 traf ich dann noch meinen Dad, der an der Strecke stand, was mich riesig gefreut hat und da habe ich gemerkt, wie wichtig Supporter sind. Ich wusste, er wird in diesem Bereich stehen und habe mir im Kopf diese Strecke in kleinere Teilstrecken unterteilt. Ab Kilomter 34 waren dann die Beine so ko, dass ich ein Stück gehen musste. Der Kopf war müde und konnte die rechte Motivation auch nicht mehr aufbringen. Mist, ich wollte so gerne einfach nur durchlaufen. Naja, Ziel ist es anzukommen, suggerierte ich mir. Das hilft dann auch nur noch begrenst. Das Highlight bei km 35.5, den "wilden Eber", wo es wohl jedes Jahr eine grosse Party gibt und viele Zuschauer ging irgendwie an mir vorbei. Ab Kilomter 36 habe ich dann , muss ich gestehen, auch von der Umgebung und den Zuschauern eher weniger mitbekommen. Einen Zuschauer habe ich wahrgenommen, der hielt ein Schild hoch mit "Dummheit frisst, Intelligenz läuft", nur zum richtigen Lachen fehlte es da auch schon. Und ab Kilomter 38 war eigentlich nur noch der Gedanke da, nur noch anzukommen und nicht mehr laufen zu müssen. Die Gehpausen wurden länger und wenn Gunter mich nicht angeschubst hätte, immer wieder ein Stück weiterzulaufen, wären sie mit Sicherheit noch länger geworden. Dennoch, und das freut mich im Nachhinein, war der Gedanke aufzugeben, nie wirklich vorhanden. Ich wollte einfach ankommen, die Zeit war mittlerweile eh egal. Ob sich die Veranstalter bei den letzten Kilometern nicht vermessen hatten ;-)) Die zogen sich wie Kaugummi und auf einmal waren läppische 3 km ein schier unüberwindbare Distanz. Endlich endlich kam der Ku’Damm und da wusste ich, nur noch ca. 2 km. Die Zuschauer am Rand wurden auch schon weniger, wir waren ja nun auch schon 5 Stunden unterwegs, aber es waren noch viele da, auch Läufer, die schon ihre Medalie hatten, feuerten noch an und irgendwann kam endlich das Zielbanner in Sichtweite. Während der langen Trainingsläufe hatte ich mir oft überlegt was das für ein Gefühl ist, beim ersten Mal über die Ziellinie zu laufen, Euphorie, Stolz, Freude .... irgendwas Grosses musste doch da sein, und als ich dann endlich nach 5:14:28 (Gunter sogar 3 Sekunden hinter mir ;-)) ) über die Ziellinie lief, war es eigentlich nur die Freude, nicht mehr laufen zu müssen und vielleicht die leichte Enttäuschung, nicht durchgelaufen zu sein. Ansonsten einfach nur leer. Es ist wie mit grossen wichtigen Prüfungen, wenn sie rum sind, ist einfach nur Leere erstmal da.

geschafft...
Im Ziel

Dann konnte ich zum ersten Mal meine Medaille (die schönste auf der ganzen Welt versteht sich) entgegen nehmen, mir den obligatorischen Plastiksack umhängen lasen und duschen gehen.

Humpelnd haben wir uns dann getroffen, Gunter ging es natürlich besser, nach seinem erweiterten Trainingslauf, und sind dann recht bald wieder nach Frankfurt zurückgefahren.

Wir sassen noch nicht im Auto, da stand schon trotz der Schmerzen in den Beinen für mich fest, das war nicht mein letzter Lauf, ich weiss jetzt wo die Lücken sind, daran kann man arbeiten und insgesamt gesehen, war es ein supertoller Tag und für mich ein riesiges Abenteuer und Ziel erreicht (zumal mir vor noch 3 Jahren nach einem heftigen Kletterunfall und zertrümmertem Bein die Ärzte sagten, Sport könne ich für den Rest des Lebens vergessen, ich kann da sehr Prof. Finke von der Chirurgie in FFM, St. Katharinen empfehlen, falls jemand auch mal zusammengeflickt werden muss, was ich keinem wünsche)!

Und nochmal geht ein riesiges Dankeschön an Gunter, den besten Coach der Welt, ohne den ich das alles mit Sicherheit nicht geschafft hätte und an meine Freunde in Köln (Bibo, Steffen, Jürgen), die mich so oft auf Trainingsläufen begleitet haben und an den Rest, der mich die ganzen Monate moralisch unterstützt hat !!!

Inka

made by Inka ®, im September 2002