Es war einmal, ...

 

So beginnen die Märchen der Brüder Grimm. Wer kennt sie nicht?

Das es ein wunderschönes Märchen vom Laufen gibt, ist mir jetzt auch bekannt. Als Ersatzmann habe ich mich ziemlich kurzfristig bei running-pur als Testläufer gemeldet. Von Vorbereitung kann also keine Rede sein. Der Veranstalter (Kreis Main-Kinzig) meldet sich per eMail bei mir. Wow! Die gehen mit der Zeit. Chipnummer, Verein usw. Alles Paletti.

 

Freitag, 7. Juni: Den Parkplatz an der Main-Kinzig-Halle in Hanau finde ich und begebe mich zur Startnummernausgabe. Ohne Probleme und Schnick-Schnack erhalte ich meine Startnummer und einige Hinweise zum Programmablauf. Die sind mir schon von der sehr guten Internet-Seite bekannt, die ausführlich informiert. Leider werden die einzelnen Etappen nur beschrieben. Visualisiert hätte ich schon die Strecken und die Höhendifferenzen. An den Informationsboards, die uns bei jeder Etappe über den Verlauf des Rennens informieren, finde ich dann diese Grafiken.

 

Zu dieser Veranstaltung bin ich mit der Einstellung angereist, einen Landschafts-Fun-Lauf zu erleben. Da werde ich schnell eines besseren belehrt, als ich die Aktiven vor dem Hanauer Rathaus sich einlaufen sehe. Nun gut, Änderung der Taktik, versuche ich mein Glück und laufe auch so schnell es geht. Ich will die 82km in einer Gesamtzeit von 7:30h absolvieren oder unter Platz 350 klassiert werden. Bei der Rekordzahl von 550 TeilnehmerInnen ein realistisches Ziel, denke ich mir?!

 

Landrat Karl Eyerkaufer schickt das Läuferfeld um 17:30 Uhr auf die "Rotkäppchen-Etappe". Das erste Teilstück ist ziemlich flach und 15,5km lang. Es führt am Heraeus-Werk in Hanau vorbei, dann Richtung Erlensee und schließlich durch Kleingärten in den Wald vor Niederrodenbach. Unterwegs gibt’s reichlich Wasser, allein vier Stände zähle ich. Die letzten zwei Kilometer laufe ich in Begleitung einer smarten Dame aus Deggendorf. Sie erzählt von der harten Konkurrenz in ihrer Altersklasse, und daß sie ordentlich Gas geben müsse, um eine gute Platzierung zu erreichen. Puhh! Sie steht letztendlich auch auf dem Siegerpodest. Das Ziel erahnen wir, als die Stimme von VanMan Jochen aus den Lautsprechern ertönt. Dann erreicht man das Sportgelände, es macht pieppiep, ein schneller Schritt über die Zielmatte und die erste Etappe ist geschafft. Mit 1:16 h bin ich zufrieden. Sofort geht es an den Getränkestand. Wasser, Elektrolyt. Genau richtig.

 

Für die Teilnehmer steht eine Gemeinschaftsunterkunft in der Adolf-Reichwein-Halle zur Verfügung. Ich entschließe mich lieber zu pendeln und privat unterzukommen. Klagen über die Unterkunft vernehme ich von den dort Nächtigenden an den folgenden Tagen nicht.

 

Samstag, 8.Juni: Vom Parkplatz in Niederrodenbach habe ich es ca. 50 Schritte bis zum Start der "Dornröschen-Etappe" am Alten Rathaus. Ich gebe mein Gepäck ab. Das wird zum Ziel in Neuenhaßlau gefahren. Vor uns liegt der kürzeste Abschnitt der Veranstaltung. Nur 14km, Start erfolgt pünktlich um 09:30 Uhr! Kurze, steile und weniger hohe Anstiege sind zu bewältigen. Keine Probleme sind zu erwarten. Die Luftlinie vom Start zum Ziel beträgt weniger als 5 km. Doch geht es hin und her. Erst durch den Ort, dann an einer Straße entlang, schließlich in den Wald. Verplegungspunkte mit Wasser und Schwämmen gibt es wieder reichlich. Das ist absolut vorbildlich organisiert. Dazu lassen sich auch die Anwohner nicht lumpen und bieten Wasser zum trinken und abkühlen an. Das Wetter ist bombig. Kein Märchen, es regnet am ganzen Wochenende keinen einzigen Tropfen vom Himmel.

 

Ich lasse es etwas ruhiger angehen und erreiche nach 1:12 h das Ziel. Ich verdrücke sofort eine Banane und reichlich Wasser. Auch das gelbe Zeug schlucke ich schnell hinunter. Ich hole mein Gepäck ab. Zum Ruheort ist es nur wenige Meter. Dort ist dann auch der Start der dritten Etappe. Verpflegen kann man sich für einen kleinen Preis. Für jeden ist etwas dabei. Suppe, belegte Brötchen, Kuchen etc. Viele liegen auf der Wiese, andere haben es sich in der Sporthalle gemütlich gemacht, manche gucken Fußball-WM auf dem Minifernseher vom VanMan.

 

Ein Bus bringt die Pendler zurück zum Start. Gut organisiert, nur kurze Wartezeiten. Ich beschließe im Auto zu ruhen und vielleicht ein Nickerchen zu machen. Tatsächlich döse ich ein. Die Sonne kachelt inzwischen ganz schön aufs Dach. Beim Start messe ich 26° C.

 

Bisher waren die Wege gut zu laufen und eben. Jetzt ging es auf grobem Schotter los, schließlich in den Wald auf noch feuchte Wege mit Wurzelpassagen. Es ging immer schön auf und ab, das macht Spaß. Ein blinder Läufer muß eine Zwangspause einlegen. Sein Blindenhund kann nicht mehr. Wie ich später erfahren habe, hat er etwas Giftiges zu sich genommen und mußte beim Veterinär behandelt werden. Den Wald verläßt man dann und es geht nur noch abwärts. Der Weg schlengelt sich durch die Wiesen und mit ihm die bunte Läuferschlange. Leider fühlt man auch die hohen Temperaturen nur allzu gut. Bei dieser "Schneewittchen-Etappe" schwinden meine Kräfte zusehends. Mühsam und kaputt erreiche ich nach 17km und 1:32 h das Ziel im Gelnhausener Stadion. Meine Beinmuskulatur beginnt sich zu verkrampfen. Schnell führe ich Flüssigkeit zu mir. Ich beschließe die Nudelparty ausfallen zu lassen und mich nur noch auszuruhen, damit ich die letzten 35km am nächsten Tag auch noch schaffe. Empfehlen kann ich den kostenlosen Massagedienst, den ich gerne in Anspruch genommen habe. Für die Übernachtung steht die Halle direkt neben dem Stadion zur Verfügung.

 

Sonntag, 9.Juni: Zum Start der 17,5km langen "Frau-Holle-Etappe" um 09:00 Uhr in Gelnhausen komme ich gerade noch rechtzeitig an. Im alten Ortskern geht es dann richtig los. Gleich eine kurze, kräftige Steigung, dann eigentlich ein flaches Stück bis zum Stadtwald. Mein HAC4 zeigt mir aber, das es nur bergauf geht. Die Kilometerdurchgangszeiten gehen deutlich zurück. Nach 180 Höhenmeter gehts endlich auch mal wieder ein Stück runter, dann doch wieder hoch, schließlich wieder 50 Meter runter. Da läuft es gleich schon viel besser. Leider meldet sich mein Magen. Er beginnt leicht zu verkrampfen. Kommt das vom Frühstück oder von der Anstrengung? Den letzten Anstieg zu den Vier-Fichten gehe ich nur noch. Dann bekomme ich Begleitung von Nichtvereins-Mitgliedern. Endlich sind 255 HM geschafft. Gemeinsam geht’s dann schnell runter zum Ziel nach Wächtersbach. Aber Vorsicht, teilweise geht’s wirklich steil abwärts. Ich kündige meinen Mitläufern (Gabi, Petra und Gunter) vorsichtshalber schon mal an, daß ich im Ziel alles, was ich noch im Magen habe, raus lassen werde. Auch keine 10 Meter nach der Zielmatte passiert es prompt. - Zielübergabe! - Ich glaube, ich habe es mit "Frau-Holle" etwas zu eng genommen!!! Sofort reicht mir Gunter einen Becher Wasser zum Spülen. Danach kippe ich noch Cola, Iso und eine Sinalco den Schlund hinunter. Ich taste mich an eine Banane heran. Leider gibt es davon zuwenig. Die letzten 1:44 h waren wirklich ziemlich hart. Mein Fanclub rappelt mich wieder auf, so daß ich die letzten läppischen 18km bis zum Ziel auch noch bewältigen sollte. Die Duschen sind eiskalt. Auch egal! Zur Regeneration genau richtig. Danach ist erstmal eine Massage fällig. Tschuldigung! Ich glaube ich war der letzte vor Toresschluß.

 

Startort der letzten Passage ist das 8km entfernte Bad Orb. Die Organisatoren haben wiederum einen Buspendelverkehr eingerichtet. Einmal zurück nach Gelnhausen und dann nach Bad Orb, dann von Wächtersbach nach Bad Orb und schließlich um 14:00 Uhr von Steinau nach Bad Orb. Um sich in Wächtersbach die Zeit zu vertreiben, sollte man sich massieren lassen. Ich benötige das unbedingt. Zum Ausruhen bleibt wirklich nicht viel Zeit. Schließlich muß man auch noch was essen bis zum Startschuß um 15:30 Uhr. Ich nehme Salztabletten, ein Laugenbrezel und Kuchen zu mir. Ich folge der Empfehlung meiner Laufkameraden und zische zur Beruhigung meines lädierten Magens schnell ein Bierchen runter. Sodann geht’s dem Magen gleich besser.

 

Alles drängt zur Startaufstellung zur "Hänsel-und-Gretel-Etappe". Laut tönt "the final countdown". Und mitten durch das Bad Orber Brunnenfest wälzt sich das Starterfeld davon. Behutsam und langsam geht es voran. Gleich wartet ein harter Brocken auf die ausgemergelten Etappenläufer. Schnell mal 140 m den Berg hoch und 155 m runter. Dann nur leicht ansteigend bis ins Ziel. Bis Kilometer 72 läuft noch alles wie geschmiert, die letzten 10 km beiße ich mich mit einem Laufkameraden (Martin D.) nur noch durch. Die Sonne hält sich Gott-sei-Dank etwas bedeckt. Trotzdem sind es schnucklige 21° C bis 26° C unterwegs. Es geht durch Bad Soden-Salmünster am Kinzigstausee vorbei nach Steinau. Am vorletzten Posten gibt es auch naturtrüben Apfelsaft. Ich lasse mich belehren, dieser sei aus eigener Produktion. Alle Achtung! Das haben wir uns bestimmt verdient!

 

Der Zuschauerzuspruch hielt sich insgesamt in Grenzen. Am Start und im Ziel war immer richtig was los. Unterwegs waren es meist die Streckenposten und vereinzelnde Anwohner, die unermüdlich Beifall klatschten. An der Organisation kann ich bei besten Willen nichts auszusetzen. Logistisch klappte alles reibungslos und wunderbar. Unterwegs exzellente Versorgung. Betreuung zwischen den Etappen. Dank an die 350 HelferInnen. Ohne die geht es nicht!

 

Den Zieleinlauf nach 18km - natürlich bergan - habe ich nicht mehr richtig wahrgenommen. Der VanMan nannte noch meine Startnummer und Passtschon98, dann die rote Matte, und es folgte die Erlösung. Die Anspannung verflog und ich war richtig glücklich. 1:50 h habe ich gebraucht. Insgesamt 7:34 h. Vier Minuten zuviel. Platz 338! Schnell trinken; erst warmen Tee, dann Wasser, dann Iso schließlich wieder Bananen. Die werde ich die nächsten Wochen nicht mehr essen. Und dann ein Stück Dusch-Tradition beim Brüder-Grimm-Lauf. Wie bei Ally-McBeal: unisex! Und keiner stört sich wirklich daran. Schwamm drüber!

 

Die Belohnung für 82km: das diesmal gelbe "Finisher-Shirt" des Internationalen Brüder-Grimm-Lauf 2002.

Ehrlich gesagt, gibt es einfachere Wege ein T-Shirt zu ergattern. Aber kein Weg ist schöner und erlebnisreicher als dieser. Ich werde nächste Jahr zu Pfingsten auf jeden Fall wieder dabei sein. Und man muß sich früh anmelden, denn mehr als 500 sollen nicht mehr auf die Strecken geschickt werden.

 

Zur Siegerehrung sind viele noch geblieben. So läßt es sich auch angenehm feiern und trinken. Die SiegerInnen und die erfolgreichen Mannschaften werden auf's Podium gebeten. Eigentlich hätten alle dort oben stehen müssen. Gegen 20:00 Uhr war dann fast alles vorbei. So ging ein Laufevent zu Ende und die müden Krieger nach Hause.

 

Und wenn sie nicht gestorben wären, dann laufen sie auch nächstes Jahr.

 

Autor: Stefan Noack, Passtschon98, #537

made by Stefan Noack für Passtschon98 ®, im Juni 2002