Im Ziel, in Biel ... zum Beispiel

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Die letzten 500 m waren noch angemessen. Durch das Spalier der Fahnen aller teilnehmenden Nationen stolpernd stellte sich das Hochgefühl, etwas Ausserordentliches geleistet zu haben, rechtzeitig und im erwarteten Umfang ein. Wenig später die Zielmatte, die mich mit einem freudigen Pieps begrüsste und dem Computer ohne Verzug meldete, dass ich ordnungsgemäss angekommen bin.

Obwohl die Brust noch stolz geschwellt, war das dann allerdings das Ende der mir zustehenden Ovationen.

Was folgte war ernüchternd. Im Zielraum ein Durcheinander von Läuferinnen und Läufern, die sich bewegten, als ob sie auf Eiern liefen und mir damit zu verstehen gaben, dass sie schon lange und auf jeden Fall vor mir im Ziel waren.

Zurück in der Realität kommt man dann langsam dazu, sich wieder einmal grundsätzliche Gedanken zu machen. Wieso hab ich das bloss gemacht? Ich bin während Stunden an den schönsten Strassenfesten vorbeigelaufen, habe feiernde Leute zurückgelassen und x Einladungen ausgeschlagen. Wenn das meine alten Saufkumpane wüssten ... Was ist bloss aus mir geworden?

Dieser Gedanke vermag sich allerdings nicht lange zu halten, denn Zeiten zum Feiern hab ich ja noch genügend, meine alten Saufkumpane andererseits haben keine Chance mehr, je im Leben weiter als 10 km am Stück zu Laufen.

Der Antrieb liegt woanders, tiefer. Er ist einfach vorhanden, wahrscheinlich schon immer, einfach irgendwann zufällig erwacht. Ich frag mich, ob er nicht in allen Menschen steckt und einfach von vielen nicht geweckt wird.

Je später die Nacht, je länger der Lauf, je länger ich das Treiben in den Gartenwirtschaften beobachte, desto klarer wird mir, dass ich die Antwort auf meine Frage eigentlich in diesen Momenten vor Augen hatte. Je später die Nacht, je ausgelassener die Leute je klarer die Erkenntnis, dass ich mich schon auf der richtigen Seite der Strasse bewege.

Ich laufe, nicht nur hier und jetzt eine ganze Nacht lang. Mein ganzes Leben wird durch das Laufen geprägt. Das mach ich freiwillig, weil es Spass macht und weil es halt schlussendlich auch einen Teil meiner Lebenseinstellung darstellt. Es hilft mir, in allen Bereichen meines Lebens, es ist sogar ein wesentlicher Teil, welcher meinem Leben einen Sinn gibt. Ich habe eine Hülle, die mir erlaubt 100 km am Stück zu laufen. Das kam nicht von Heute auf Morgen; dahinter steckt ein Wille, der das fordert und den schwächlichen Körper über Jahre zu Leistungen hin führt, welcher dieser nie für möglich gehalten hätte. Wenn einen also das Gefühl beschleicht, die Umwelt dürfte die Leistung schon etwas ausgiebiger würdigen, so sollte man das einfach abstellen und anderen Gefühlen Platz machen. Damit meine ich Dankbarkeit. Nicht mehr und nicht weniger – einfach Dankbarkeit. Dafür, dass man die Gesundheit hat, überhaupt Laufen zu können; dafür, dass man einen Körper hat, der das zulässt; dafür, dass man einen Geist hat, der das fordert; dafür, dass man dadurch sich und die ganze Umwelt intensiver erleben darf.

Toni Bossard

Juni 2002

made by Toni Bossard für Passtschon98 ®, im Juni 2002