Ein Tropfen im Strom

ab nach hause...

Dieser Marathon versorgte mich mit einer ganzen Reihe von neuen Erfahrungen. Die erste war die Ersteigerung des Startplatzes. Die 40.000 Startplätze waren schon Anfang August ausgebucht. Über ein US Forum wurde gewarnt Startplätze über Ebay zu ersteigern, da die Organisatoren die Übertragung der Registration Cards gänzlich verboten hatten. Obwohl auch Freunde die Startnummer mit Nachweis ihrer eigenen ID Cards hätten abholen können, wollten die Organisatoren, die Aktivitäten in Ebay verfolgen und besonders die Anbieter im Auge behalten. Vielleicht sollte das ganze als Abschreckung dienen, doch habe ich mir dann unter den Anbietern jemand ausgesucht, der in Chicago wohnt und auch die Unterlagen für mich abholen würde.

Die Ersteigerung selbst war auch sehr spannend, nachdem ich zwei Versteigerungen verloren hatte, habe ich herausgefunden, dass Zeit eine nicht unerhebliche Rolle in diesem Spektakel spielt. So habe ich mein Höchstangebot drei Minuten vor Ende der Versteigerung abgegeben und das hat gut funktioniert, da die Zeit abgelaufen war, bevor die anderen an mein Höchstangebot herankamen.

Mein Synonym bei diesem Lauf war "Magnus Leydner", und damit habe ich jetzt wohl endgültig meinen "Verwandtschaftsgrad" zu Gabi herstellen können (kann Gabi euch erklären, wenn ihr das nicht versteht)

Der Marathon startete dann am Samstag mit der Fahrt von Detroit nach Chicago, wobei das letzte Stück der Reise, zum Parkplatz des Exhibition Center zu gelangen, Stoßstangen fahren bedeutete, ähnlich der morgendlichen Anreise zum Frankfurt Marathon an der Messe. Im Center habe ich dann die schwedische Leidner Ausgabe getroffen und bin mit ihm über die Marathonmesse gewandert, wo in mehreren Schritten das Marathon Packet zusammengestellt wurde. Die Messe selbst hatte etwa die doppelte Größe von Frankfurt.

Am nächsten Morgen war dann wieder Frühaufstehen angesagt. Da ich etwa 30km außerhalb von Downtown Chicago noch ein Hotel für dieses Wochenende gefunden hatte, begab ich mich um 5:45 auf den Highway und landete nach einer halben Stunde in einem der vielen Parkhäuser der Innenstadt.

Über den Weg anschließend, brauchte ich mir keine großen Gedanken zu machen, da mir, kaum aus dem Parkhaus hinausgetreten, die ersten Läufer mit geschulterten Marathonsäcken im schummerigen Licht der Straßenbeleuchtung begegneten, die aus allen Richtungen zum Startplatz strömten.

Gegen halb sieben tummelten sich schon Tausende im Grant Park um den farblich angestrahlten Buckingham Springbrunnen. Dutzende riesiger Zelte waren im Park aufgebaut. Froh das Zelt zur Aufbewahrung der Marathonsäcke gefunden zu haben, zog ich mich in eine geschützte Ecke zurück und beobachte fasziniert das bunte Treiben unter dem Vollmondschein im Westen und der langsam aufgehenden Morgenröte im Osten.

Viele der Läufer rannten bereits in kurzen Hosen und T-Shirts in der noch morgendlichen Kühle von nur etwa 5 Grad herum, während ich wie ein Eskimo eingepackt mein spärliches Frühstück verzehrte.

Telefongespräche mit Deutschland, wo der Tag ja schon halb vorbei war, verkürzten mir dann die Wartezeit. Gegen halb acht stand die Sonne schon so hoch über dem Michigansee, dass mich die wärmenden Strahlen dazu ermunterten, meine Schutzschichten abzulegen, in meinen roten Mainzer-Marathonsack einzupacken und abzugeben.

Trotzdem war es noch ganz schön kühl, als ich plötzlich im T-Shirt und Shortleggings der Umgebung ausgesetzt war. Nach einigen leichten Trabrunden reihte ich mich 15 Minuten vor 8 Uhr in die 3:50h Startgruppe der schon wartenden Läufer ein. Das Startbanner konnte ich nicht sehen und viel konnte man von den Moderatoren auch nicht hören. Als dann die Nationalhymne gesungen wurde, konnte man ahnen, dass es wohl langsam losgehen würde.

Der Startschuss musste wohl gefallen sein, da ich irgendwann nach 8 Uhr Schritt für Schritt in eine Vorwärtsbewegung fiel. Es dauerte glatte 8 Minuten bis ich dann die braunen Matten unter dem Startbanner überschritten hatte. Durch die Kühle und das lange Stehen, hatte ich das Gefühl leicht eingefroren zu sein und brauchte fast 1km, um über ein steifes Dahinstolpern in einen angenehmen Laufrhythmus zu gelangen.

Obwohl die Straßenzüge etwa der Breite der Miquelallee entsprachen, war auf den ersten 8 km an ein Überholen nicht zu denken, ohne über Beine und Füße zu stolpern oder von Ellbogen getroffen zu werden. So konnte ich mich auch mehr auf die Stimmung konzentrieren. Die Straßenzüge waren in dem Bankenviertel bereits zu dieser frühen Stunde mit Menschen überfüllt und die unwahrscheinliche Geräuschkulisse von den Zuschauern zu den Läufern und die zurückschallenden Rufe der Laufenden erfüllten die Luft in der ersten halben Stunde. Beeindruckend auch die Echos, die die Läufer in einigen Unterführungen erzeugten.

Obwohl die Sonne schon kräftig ihre Wärme verteilte, verhinderten die Hochhäuser der Innenstadt, dass ich davon etwas aufnehmen und damit die auch in Frankfurt bekannten kühlen "Luftzüge" ausgleichen konnte.

Es wurde angenommen, dass ca. 1 Millionen Leute an der Strecke stehen würden und es gab wirklich keinen einzigen Meter an der Strecke, wo keine Zuschauer standen. In manchen Viertel wie Greektown, waren es dann teilweise dreier bis fünfer Reihen. Chicago ist ein echter Stadtmarathon, da weder Industrie- oder Parkgebiete gestreift werden.

Interessant ist auch die Zusammensetzung des Marathons: 42% der Teilnehmer sind Frauen. Bis zum Alter von 35 stellen die Frauen sogar die Überzahl der Läufer. Neben der Anzeige der Meilen war auch gleichzeitig immer eine Digitale Uhr mit der laufenden Marathonzeit installiert. Zusätzlich für die metrisch orientierten Läufer war alle 5km ebenfalls eine Marathonuhr aufgebaut.

Ca. 12 Verpflegungsstellen sorgten für ausreichende Versorgung. Von Anfang an gab es Gatorade, was später dazu führte, dass die Strassen rund um die Verpflegungsstellen, mit einer klebrigen Schicht überzogen waren und ich mich am Anfang wunderte, warum ich meine Schuhe wie von einem Kaugummi abheben musste.

Mit der Zeit kletterte die Sonne so hoch, dass sie voll in die Straßenzüge einstrahlte und die Temperaturen stiegen im Schatten auf 25 Grad. Der Kurs von Chicago hatte keine großen Steigungen, aber es ging ständig auf und ab. Brücken, Unterführungen, die teilweise schlechte Straßenbeläge und die unzähligen Beine und Füße ließen keine Langeweile aufkommen und erforderten so viel Konzentration, dass ich mir kaum die Umgebung – wie noch in Detroit – ansehen konnte. Da bis auf einige Passagen im letzten Viertel des Laufes die Laufstrecke ausreichend breit war, gab es in den Kurven nie Probleme oder Stockungen.

Nachdem ich bis km 32 ständig beschleunigt hatte, haben mich einige engeren Passagen besonders an den Versorgungsstellen zum Abbremsen gezwungen. Danach bin ich wieder langsamer geworden, da sich der Detroit Marathon zusätzlich bemerkbar machte und Frankfurt ja noch vor mir lag

So nahm ich auf den letzten km wieder die Atmosphäre in mich auf. Die Zuschauerunterstützung nahm da noch einmal zu und die Zurufe wie "You can do it" , "Soon done" , "Great Job" , "Move on" bildeten ein motivierendes Konzert.

Etwa bei km 42 war noch eine Steigung in Form einer höheren Straßenbrücke zu überwinden, bevor man dann hinab unter das etwa 300m entfernte Zielbanner lief.

Nachdem ich den Chip abgegeben, die Medaille empfangen hatte, konnte ich meinen Marathonsack abholen, der sich glücklicherweise sehr deutlich von den weißen Chicago-Marathonsäcken unterschied.

Anschließend habe ich mich noch eine Stunde ins Gras vom Grant Park gelegt, wahrscheinlich die letzte richtige Sonne dieses Jahr genossen, mich ausgeruht und die stolz abwandernden Massen beobachtet, bevor ich mich ins Hotel zurückzog und am Montag früh zurück nach Detroit fuhr.

Ach, und für die Statistik 6530. Platz von 32400 und 223. von 1271 in M50 bei einer Zeit von 3:44:12

http://www.chicagomarathon.com/ (zu den Ergebnissen)

made by Rolf Müller ®, im Oktober 2003